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Katharina Ley – Vom Loslassen und gutem Beenden

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Der Verlauf unseres Lebens wird auch davon geprägt, wie wir loslassen können. Dem Vergangenen einen Wert geben, Danke zu sagen und zu spüren, was hat uns berührt. Indem wir den Übergängen bewusst Raum geben, legen wir gleichzeitig ein gutes Fundament für einen Neuanfang.

Katharina Ley ist Psychoanalytikerin und Psychotherapeutin in eigener Praxis in Bern, Soziologin und Gruppenanalytikerin. Von 2001-2004 war sie als Traumatherapeutin in Südafrika tätig. Ihre Themen sind Frauen, Fortsetzungsfamilien, Geschwister, Versöhnung. Sie hat zahlreiche Bücher veröffentlicht.

Veränderung ist eine grundsätzliche Konstante im Leben. Ohne sie könnte nichts Neues entstehen. Und dieser Umbruch beinhaltet Abschied und Neuanfang zugleich. Wie wichtig ist es, sich dieser Gegensätze bewusst zu werden?

Meines Erachtens ist es ganz wichtig, Abschied und Neubeginn auseinander zu halten. Ich würde sogar sagen, dass ein guter Abschied wesentlich ist für einen gelingenden Neubeginn. Erst wenn ein Abschied versöhnlich und würdigend gestaltet wird, kann daraus etwas positives Neues entstehen. Für mich sind Abschied und Neubeginn keine Gegensätze, sondern die zwei notwendigen, aufeinander folgenden Schritte, damit Veränderung möglich wird.

Meinen Erfahrungen zufolge werden Abschiede gerne ‚übersprungen‘. Man springt ins Neue hinein, ohne das Alte (einen Menschen, eine Berufsstelle, eine Wohnung u.a.) zu würdigen, zu verdanken und zu verabschieden. Scheiden tut weh; ja, das ist oft so. Doch der Abschiedsschmerz hat seinen Wert und seine Gültigkeit. Ein Neuanfang kann etwas Berauschendes mit sich bringen, ins Beginnen verliebt – es gelingt umso besser als das Alte wirklich geehrt wird.

Inwiefern ist es hilfreich, Übergänge im Leben bewusst wahrzunehmen und zu gestalten?

Bei jedem Übergang in unserem Leben drehen wir eine Seite in unserem Lebensbuch um – ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Zu einem bewussten Leben gehört es, diese Übergänge zum einen wahrzunehmen und zum anderen zu gestalten. Das Wahrnehmen geht oft einher mit einem Innehalten im Leben, mit einem Aufschreiben des Erlebten, mit Wehmut und Trauer. Vielleicht auch mit Versöhnung, wenn sie ansteht. Dieses Wahrnehmen geht über in ein Gestalten, wenn ein Mensch sich die nötige Zeit dafür nimmt, um die Wehmut, die Trauer, den Abschied, allenfalls auch eine Erleichterung, ein Aufatmen zu würdigen.

Es gibt mannigfache Möglichkeit von Ritualen, die ein Mensch allein, mit Freunden, mit einer Fachperson (es gibt heutzutage ausgebildete Ritual-LeiterInnen). Oft wird ein Ritual in der Natur gewählt, weil doch die Natur auch mit ständigen Veränderungen einhergeht. Das Wasser wirkt reinigend und befreiend, zumal wenn es fliesst. Die Mutter Erde gibt Halt, sie erdet im wahrsten Sinne des Wortes. Im Feuer lassen sich Schmerz und Trauer verwandeln. Und die Luft hilft uns dabei, alle unsere Gefühle, unsere Wünsche und Hoffnungen zu etwas Grösserem hin zu öffnen.

Ein Ritual gibt den Gefühlen, die uns in Lebensübergängen bewegen, eine hilfreiche und tröstliche Gestalt. Und eine solche Gestalt ist heilend und stärkend für Seele, Geist und Körper.

Was sind aus Ihrer Erfahrung wesentliche Gründe, dass es Menschen schwer fällt, Abschied zu nehmen?

Eben, Abschied nehmen, scheiden tut weh. Wir Menschen fürchten sicher den Schmerz, und wir fürchten oft das Unbekannte. Selbst wenn ein Mensch unglücklich ist in seinen Lebensumständen, ist es meiner Erfahrung nach noch keineswegs zwingend, dass er sich zu einer Veränderung entschliessen kann. Lieber ein bisschen oder sehr unglücklich verharren als ins Neue, Unbekannte aufbrechen. Das könnte ja noch schlimmer werden als es jetzt bereits ist. Und das Alte kennen wir. Wir Menschen sind – Ausnahmen vorbehalten – Wesen, die zu Trägheit neigen.

Rückblickend betrachtet, hätten wir manchmal lieber anders gehandelt. Wir fangen an, mit uns zu hadern. Was kann uns helfen, die Vergangenheit sein zu lassen und das Gewesene anzuerkennen?

Natürlich hätten wir rückwirkend manchmal etwas anders, ja besser machen wollen. Aber offenbar war das in jenem Moment nicht möglich. Wer ganz und gar gegenwärtig lebt, macht aus dem gegenwärtig zu Erledigenden bzw. zu Vollziehenden eben das Bestmögliche. Ich tue mein Bestes. Ich tue jederzeit das, was mir möglich ist.

Gegenwärtig leben? Es gibt da eine sehr hilfreiche kurze (Geh-)Meditation von Thich Nhat Hanh. ‚I have arrived. I am home. My destination is in every step‘. ‚Ich bin angekommen. Ich bin daheim (in mir). Mein Ziel ist in jedem Schritt.‘

Es ist für mich eine kurze, bündige, schlüssige Meditation im Gehen. Ich bewege mich dazu im Raum, solange es sinnvoll ist. Danach bin ich wunderbar in der Gegenwart angekommen. Wenn das soweit ist, kann man die Vergangenheit sein lassen, das Gewesene anerkennen und die Herausforderungen und Schönheiten des Hier und Jetzt wahrnehmen.

Übergänge im Leben gehen oft mit Unsicherheit einher. Wie kann es gelingen, uns auf diese Unwägbarkeiten einzulassen?

Das Leben IST doch lebensgefährlich! Jeder Schritt ist ein Risiko. Stets kann etwas passieren: etwas Schlimmes. Oder etwas Gutes! Natürlich denken wir nicht minütlich und täglich so. Das würde uns völlig lebensunfähig machen. Wir vertrauen auf die Erfahrung, dass es meistens gut geht. Dass wir immer noch am Leben sind. Es würde uns blockieren und lähmen, die Unsicherheit ständig zu spüren. Zudem wäre es doch langweilig und einengend, sich stets in Sicherheit zu wiegen.

Es gibt den Begriff der ‚AngstLust‘ (von Balint; engl. thrill). Jeden Tag bewusst beginnen, etwas Neues beginnen. Das ist doch spannend; was wird heute geschehen? Was packe ich an? Was lasse ich sein? Werde ich mich verändern? Wird es gut gehen? Treffe ich neue Menschen? Werde ich eine Andere werden, ein Anderer? Das ist Lebensintensität. Da gilt es, sich Mut zuzureden und etwas zu wagen.

 


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Manchmal wissen wir, dass etwas zu Ende geht, möchten aber noch nicht loslassen. Inwieweit können kleine Rituale helfen, Abschied zu nehmen, das Loslassen spürbar werden zu lassen?

Vieles habe ich hier bereits geschrieben zu dieser Frage. So fokussiere ich sie auf das, was jetzt in meinem Leben ansteht. Ich habe mich mit dem Älterwerden auseinanderzusetzen. Natürlich möchte ich noch eine gute Weile leben. Aber auch mein Leben wird eines Tages zu Ende gehen.

In meinem Leben gibt es etwas, das man vielleicht Ritual nennen kann. Ich schreibe entlang meiner Lebenserfahrungen meine Bücher. Das heisst ich erlebe, ich recherchiere, ich diskutiere, ich sammle Erfahrungen und ich mache mich ans Schreiben. Eine kreative, inspirierende Tätigkeit, die mich erfüllt und glücklich macht. Es ist für mich auch ein Akt der Befreiung. Soeben ist mein neuestes Buch herausgekommen ‚Anders älter werden. So gelingen die besten Jahre‘ (bei fischer & gann).

Ich bin zu einer ersten Lesung eingeladen worden. War das schön, wie die Menschen herbeiströmten, aufmerksam zuhörten, mitdiskutieren und wir alle spürten: es gibt eine Solidarität im Älterwerden. Wir sind nicht alleine. Wir brauchen einander. Schreiben ist für mich auskosten, würdigen, ehren – und mitteilen und weitergeben. Dann kann man ein Thema, eine Erfahrung im gegebenen Moment auch wieder loslassen – in Frieden.

Wie gehen Sie mit Unsicherheit um?

Ich bin von Kindheit an ein temperamentvoller und etwas wagemutiger und etwas massloser Mensch. Unsicherheiten spüre ich wenige. Ich bin neugierig und lebenslustig. Da spielt Unsicherheit keine grosse Rolle. Das Leben wäre sonst ziemlich langweilig und routiniert.

Das alles ist erst sekundär meine eigener Verdienst. Es ist mein Naturell. Und erst im Erwachsenenalter habe ich daran gearbeitet, dass mir das erhalten bleibt. Ich habe viel Glück gehabt in meinen sieben Jahrzehnten, die ich nun eben vollendet habe. Und das viele Glück, das mir geschenkt worden ist, bildet keinen Nährboden für Unsicherheit.

Natürlich kenne ich Unruhe, Nervosität – wenn ich einen Kurs leite, eine Therapie anbiete, ein neues Buch schreibe – aber dieser ‚thrill‘ gehört dazu, dass etwas gut wird! Im Älterwerden können gewisse Unsicherheiten zunehmen. Kann ich das noch? Reichen meine Kräfte? Da braucht es eine gute Selbsteinschätzung und eine grosse Portion Vertrauen in sich selbst, in seine Mitmenschen und ins Leben.

Auf welche Kraftquellen greifen Sie in schwierigen Situationen gerne zurück?

Ich brauche in meinem täglichen Leben ständig Quellen der Energie, Quellen der Kraft. Meditation ist für mich seit Jahrzehnten etwas ganz Wichtiges, ja Lebensnotwendiges. Täglich in die Stille gehen, und wenn es nur für eine Viertelstunde ist. Sitzen oder gehen, mit oder ohne Mantra. In der psychotherapeutischen Praxis mache ich vor jedem nächsten Klienten, der zu mir kommt, die oben erwähnte Gehmeditation von Thich. Es holt mich in den gegenwärtigen Moment, und ich werde ganz offen für den nächsten Menschen, der zu mir kommt.

Es bestärkt mich darin, dass alles eh schon da ist, und dass ich in mir angekommen bin und mich zuhause fühle. Für mich fliessen die Kraftquellen in schwierigen Situationen nur dann, wenn seit Jahren täglich geübt wird. Es braucht die Verankerung im Alltag, wenn es in einer fordernden Situation funktionieren soll. Das ist auch beim autogenen Training und vielem anderen so. Alles beginnt im Alltag, was sich im Schweren bewähren soll.

Welche Gedanken kommen Ihnen bei den Worten von Henry Brooks Adams „Wo Ordnung zu Erstarrung führt, erzeugt Chaos oft neues Leben.“

Es braucht für mich eine Balance zwischen Ordnung und Chaos in meinen Berufen, in meinem Leben. Psychoanalyse erfordert ein klares zeitliches, finanzielles und im Sitzen oder Liegen klares Setting. Dann kann das freie, wilde Assoziieren, Phantasieren und Erzählen kommen – ohne ‚Ordnung‘, ohne Zensur. Es kann sich nur im erwähnten Rahmen entfalten. Bei meinem Schreiben ist es ähnlich. Ordnung meint das stete Schreiben, die geleisteten Vorarbeiten, das ruhige Sitzen an meinem Laptop – dann kann es losgehen.

Ich bin einmal auf den Begriff ‚chaosmotisch‘ gestossen (vom französischen Psychoanalytiker Félix Guattari). Er beschreibt, wie das Chaos, ein Zustand grosser Unordnung, einen starken, produktiven Impuls auslösen kann. Wenn man sich nicht im Chaos verliert oder ein zu grosses Bedürfnis nach Ordnung die Kreativität erstickt. Die Balance ist wichtig.

Wofür sind Sie dankbar?

Ich bin für restlos, wirklich restlos alles dankbar, was in meinem Leben geschehen ist und täglich geschieht. Ich habe bereits erwähnt, dass mir viel Glück geschenkt wurde. Ich habe zwei wunderbare Kinder, eine Tochter und einen Sohn, zwei kleine reizende Enkel.

Ich habe mich bis heute beruflich mannigfaltig entfalten können: in der Forschung, im Schreiben, in der psychoanalytischen Praxis, in Gruppen, in Weiterbildungen. Ich bin gesund, wenn auch jetzt älter geworden und mit einigen altersadäquaten Gebrechen und Einschränkungen. Doch für mich ist innerlich alles möglich, wenn die äusseren Kräfte nachlassen.

Ich habe einen Lebenspartner, mit dem ich mich entwickeln und mit ihm wachsen und geniessen kann. Wir haben ein paar Jahre in der Nach-Apartheid in Südafrika gearbeitet. Das hat bei allem Schwierigen mein Leben verändert und vertieft. Ich habe einen wunderbaren Freundes- und Kollegenkreis in der Schweiz und im Ausland.

Wir haben Freude aneinander, brauchen einander und geniessen uns gegenseitig. Ich lebe in der Schweiz, in Bern, in schöner Natur und Kultur. Und wir haben, last but not least, eine herrliche, wilde junge Setter Hündin.

Ich bin auch bewusst dankbar für das Schwierige, das ich erlebt habe und erlebe. Vor allem meine ersten zwanzig Jahre waren nicht leicht. Als ich mein Leben selbst in die Hand nehmen konnte, wurde es besser und glücklicher. Vor einem halben Jahr hatte ich eine schwere Rückenoperation, die mich in ihren Auswirkungen täglich herausfordert. Das macht mich achtsam und dankbar, und ich fühle mich dadurch mit vielen Anderen verbunden.

Das Elend in der Welt, die Ausbeutung, die Flüchtlingsmillionen, Armut und Gewalt machen mir sehr zu schaffen. Ich bin dankbar, wenn ich mit meinen Möglichkeiten in einer kleinen Ecke etwas für Leidende und Bedürftige tun kann. Ich bin dankbar, dass ich den grossen Wert von Solidarität entdeckt habe und mit Anderen teilen kann. Eben: wir brauchen einander.

Katharina Ley

Weitere Bücher von Katharina Ley:
ANDERS ÄLTER WERDEN: So gelingen die besten Jahre


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