Wir laufen gerne den angenehmen Gefühlen hinterher und übersehen dabei allzu leicht die Vielfalt des Lebens. Vielleicht besteht das Glück ja gerade darin, Empfindungen in all ihren Schattierungen zu erfahren.
Tania Konnerth arbeitet als Buch- und Webautorin, leidenschaftliche Fotografin, Coach und Dipl. Kommunikationswirtin. Als vielfältig kreativ Schaffende betreibt Sie die Webseiten „Mein achtsames Ich“ und „Tania Konnerth“. Weiterhin war Tania Konnerth lange Zeit Herausgeberin des Internet-Erfolgsberaters „Zeit zu leben“.
Wir wissen mittlerweile eine ganze Menge und materiell geht es den meisten von uns recht gut. Aber sind wir deswegen glücklicher geworden? Stehen uns vielleicht unsere Vorstellungen, was wir bräuchten, um glücklich zu sein, im Weg?
Das ist eine gute Frage. Vielleicht ist vor allem der Anspruch selbst, der uns im Weg steht. Denn wer sagt denn, dass das Leben nur aus Glück bestehen soll? Wäre das denn wirklich wünschenswert? Für mich ist die Vorstellung von seligem Dauerglück ehrlich gesagt eher beängstigend. Ich glaube, dass ein Fokus auf das, was wir Glück nennen, zu einem sehr eingeschränkten und auch angstbesetzten Leben führen kann oder sogar zwangsläufig muss. Denn wenn wir immer nur Wohlgefühle anstreben, kann es nicht mehr in die Tiefe gehen und wir müssen ständig fürchten, dass etwas unser Glück trübt.
Ohne Oben gibt es kein Unten und ohne Licht keine Schatten, wir können nicht nur die eine Seite haben und die andere wegwünschen. Das würde bedeuten, die Welt nur in unserer Lieblingsfarbe malen zu wollen – und wie fade wäre das! Nur rot oder nur gelb oder nur blau? Wir brauchen alle Farben, damit das Leben bunt und lebendig ist, auch die dunkleren wie Grau und Schwarz.
Ich liebe z.B. meine Melancholie und schätze auch meinen Schmerz. Ich will auch Gefühle wie Trauer oder Zorn in mir annehmen und ja, ich kann auch meine schlechte Laune umarmen oder mich mit meiner Angst aufs Sofa setzen und ihr nachspüren.
Ich möchte kein einziges meiner Gefühle ausklammern, nur weil ich dann vielleicht gerade nicht „glücklich“ bin. Lebendigkeit entsteht für mich, wenn ich die ganze Tüte nehme, die das Leben zu bieten hat und nicht nur die Himbeerbonbons.
Die verlockende Welt der grenzenlosen Möglichkeiten führt uns leicht in die Irre. Warum sind Grenzen wichtig?
Ich glaube, Grenzen sind wichtig, weil sie Orientierung geben – mir selbst in meinem Tun und Wollen und anderen in ihrer Beziehung zu mir. Die Herausforderung dabei liegt meiner Ansicht nach darin, dass wir uns intensiv mit uns selbst befassen müssen, um unsere tatsächlichen Grenzen zu erkennen – und zwar wieder in Bezug auf unser Tun als auch in Beziehungen.
Wenn jemand zu mir sagt: Sprenge deine Grenzen! dann kann das eine Ermutigung aber auch eine Überforderung sein, denn in der Regel weiß der andere überhaupt nichts über meine Grenzen. Und wie viel weiß ich selbst darüber? Habe ich wirklich mal ausprobiert, wie weit ich komme? Wage ich es, mich überhaupt in die Nähe meiner Grenzen zu bewegen oder bleibe ich lieber in meiner kuschligen Komfortzone? Oder bin ich vielleicht ständig dabei, mich selbst über Grenzen zu pushen, damit ich den nächsten Kick erlebe und werde so immer hungriger und hungriger? Achte ich vielleicht selbst meine Grenzen zu wenig?
Die Auseinandersetzung mit Fragen zu diesem Thema führt uns immer zu uns selbst, denn niemand anderes kann unsere Grenzen für uns definieren, das kann nur jeder für sich. Wenn wir den Mut aufbringen, uns mit unseren Grenzen zu befassen, bekommen wir eine Vorstellung von dem Gebiet, in dem wir uns eigentlich bewegen – für manch einen stellt sich heraus, dass es vielleicht viel größer ist als gedacht, andere erkennen hingegen, dass das Gebiet deutlich kleiner ist als erwartet.
Das Tolle an Grenzen ist aber, dass sie nicht in Stein gemeißelt sind, sondern sie können verschoben, überwunden oder auch ganz neu gesetzt werden. Grenzen müssen also nicht statisch, sondern können sehr lebendig sein. Ich denke, dieser Gedanke ist ganz entscheidend, damit Grenzen nicht zu einem Gefängnis werden und uns einschränken. Ich kann heute eine Grenze für mich wahrnehmen und morgen beherzt darüber springen, genauso wie ich vielleicht bisher versäumt habe, einer Person Grenzen im Verhalten mir gegenüber zu setzen, die ich nun aber einfordere, um gut für mich zu sorgen.
Und darum geht es vielleicht eigentlich beim Thema Grenzen: um die Frage, was mir gut tut und was nicht. Tut mir eine Grenze gut oder engt sie mich ein? Brauche ich eine Grenze, um mich zu schützen oder befreit es mich, sie zu durchbrechen? Die eigenen Grenzen zu erkennen und sie zu akzeptieren oder ggf. auch zu erweitern erfordert meiner Erfahrung weniger auf andere zu schauen als viel mehr viel Achtsamkeit mit sich selbst.
Wir versuchen gerne, die Welt unseren Vorstellungen anzupassen, was in der Regel recht anstrengend ist. Macht es nicht mehr Sinn, die eigenen Ängste und Erwartungen einmal genauer anzuschauen, um dem Leben mit mehr Offenheit und Vertrauen zu begegnen?
Ja, die Welt und unser Leben unseren Vorstellungen anzupassen, liegt im Trend. Allerdings führt diese Idee auch oft zu der Illusion, wir könnten damit die Welt und das Leben kontrollieren …
Ich selbst war eine echte Expertin in Sachen aktiver Lebensgestaltung. Über viele Jahre gab es wohl kaum eine Methode oder Technik, die ich nicht kannte und anwandte, um mir ein perfektes Vorzeigeleben zu basteln. Und ja, man kann weit kommen damit. Gleichzeitig ahnte ich aber schon früh, dass eigentlich etwas sehr schief lief. Das Leben, das ich für mich wollte, war nämlich nicht das Leben, das ich wirklich brauchte und so konnte die Welt, die ich für mich erschuf, mich nicht wirklich nähren.
Mir das einzugestehen hätte zur Folge gehabt, etwas ändern zu müssen, aber wie so vielen anderen machte auch mir diese Vorstellung vor allem eines: Angst. Und je mehr Angst ich bekam, desto verzweifelter versuchte ich mich und alles um mich herum passend zu dem zu machen, was ich dachte, was gut und richtig wäre und so sein müsste und entfernte mich damit immer mehr von mir selbst… Bis dann eines Tages alles zusammenbrach.
Ich glaube heute nicht mehr daran, dass es Sinn macht, Armdrücken mit dem Leben zu spielen. Im Nachhinein bin ich froh, dass das Leben bei mir so nachdrücklich mit der Faust auf den Tisch schlug, denn ich weiß nicht, ob ich sonst den Mut zu solch radikalen Änderungen gehabt hätte.
Um zu Deiner Frage zurückzukommen: Ja, für mich macht es sehr viel Sinn, sich seinen Ängste zu stellen und sich mit seinen Wünschen und Erwartungen zu befassen. Und das so tiefgehend, dass wir in der Lage sind zu erkennen, was davon wirklich unser eigenes ist und was wir möglicherweise von anderen übernommen haben – sei es, das es uns immer wieder eingebläut wurde, sei es, dass es so schön schillerte oder sei es, dass es einfach gerade „in“ ist. Manch eine Angst in uns stellt sich als die Angst einer Person heraus, die uns geprägt hat, und manch ein Ziel, für das wir so viel getan haben, als das Ziel von jemanden, den wir beeindrucken wollen.
Lebensgestaltung heißt für mich heute vor allem erst einmal, mich mir selbst zuzuwenden und zu erspüren, wer ich bin, was mir wichtig ist und was ich brauche und das losgelöst von Ratgebern, Ratschlägen oder anderen Vorgaben.
In dem Buch „Von der Seele schreiben – Auf Entdeckungsreise zu mir selbst“ machst Du Mut, sich dem Schreiben zu widmen. Spielerisch und ohne Druck. Inwieweit kann Kreativität unser Leben bereichern und Einblicke in die Seele gewähren?
Das Schreiben begleitet mich, seit ich zehn Jahre alt bin. Damals bekam ich von meiner Oma ein Tagebuch – das war eines der besten Geschenke meines Lebens! Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht schreibe – beruflich, aber immer auch allein für mich selbst. Und am liebsten möchte ich jedem anderen zeigen können, wie hilfreich und wunderschön das Schreiben ist!
Ich habe zum Beispiel für mich entdeckt, dass kreative Schreibmethoden so etwas wie kostbare Zauberschlüssel sein können, mit denen wir manchmal sogar fest verschlossene Türen in uns öffnen können. Viele haben genau davor Angst, weil sie Schmerz oder ähnliches hinter diesen Türen vermuten. Und ja, manchmal steckt Schmerz hinter so einer Tür, manchmal auch Wut oder Frust. Aber zum einen kann es geradezu befreiend sein, sich solche Gefühle von der Seele zu schreiben und zum anderen warten hinter vielen anderen Türen ganz wundervolle Gefühle und Erkenntnisse, die uns bereichern und nähren können.
Das Schreiben kann zu einem direkten Austausch mit sich selbst werden, zu einem Dialog mit Anteilen in uns, die im Alltag oft zu kurz kommen. Wir können schreibend unsere eigene Geschichte erforschen und viel über uns erfahren. Schreibend können wir mit unseren Gedanken spielen, die, solange wir sie nur im Kopf bewegen, oft nur in endlosen Dauerspiralen enden. Schreibend können wir unsere Kreativität entdecken und ausdrücken und damit endlich unsere ganze eigene Stimme finden. Diese Form des kreativen Selbstausdrucks ist eine wundervolle Möglichkeit, aus sich selbst zu schöpfen und zu strahlen.
Welche Bedeutung hat das Alleinsein für Dich?
Ich bin gern allein, denn im Alleinsein begegne ich mir selbst.
Ich neige dazu, im Zusammensein mit anderen mich auf diese Menschen auszurichten, da ich automatisch sehr viel von ihnen mitbekomme, z.B. was sie erwarten, sich wünschen, brauchen, interessant finden usw. Das nehme ich so wahr, wie andere Menschen die Haar- oder Augenfarbe registrieren. Und ich reagiere oft ganz automatisch darauf. Zwangsläufig bringt mich das sehr leicht auch von mir selbst weg, manchmal weniger, manchmal auch sehr. In den Phasen, in denen ich allein bin, kann ich zu mir kommen, weil da niemand ist, für den ich irgendwie sein muss. Vor allem genieße ich auch die Ruhe, die da ist, wenn ich allein mit mir bin und die Freiheit, genau das zu tun, was ich gerade tun möchte.
Inzwischen habe ich aber auch erleben können, dass es Menschen gibt, in deren Gegenwart ich bei mir bleiben kann. Das ist ein großes Geschenk. Durch diese Menschen habe ich nicht mehr ganz so oft das Bedürfnis, mich zurückzuziehen und für allein mich zu sein, sondern ich genieße das Dasein im Zusammensein.
Wie schaffen wir es, unseren Herzensangelegenheiten auf die Spur zu kommen?
Auf diese Frage gibt es meiner Erfahrung nach keine klare Antwort, auch wenn dazu schon viele, viele Bücher und Anleitungen verfasst wurden. Es gibt kein Rezept dafür, keinen sicheren Weg und vor allem keine Abkürzungen.
Ich glaube, dass wir unsere Herzensangelegenheiten nur dann finden können, wenn wir bereit sind, unser Herz zu spüren. Wir müssen bereit sein, es zu sehen, zu hören, zu fühlen, ja, sogar zu schmecken und zu riechen. Erst wenn wir uns darauf einlassen können, uns mit all unseren Sinnen uns selbst und unserem Leben zuzuwenden, werden wir uns wirklich kennen lernen können.
Du malst, fotografierst, schreibst Bücher. Woher kommt diese beachtliche Kraft zu gestalten, Dich auszudrücken?
Ich glaube, es handelt sich da um ein Grundbedürfnis in mir und es würde mich wohl deutlich mehr Kraft kosten, wenn ich mein kreatives Tun unterdrücken müsste, als kreativ zu schaffen.
Weiter oben sprach ich schon vom kreativen Selbstausdruck und genau das ist, was ich tue: ich drücke mich in meinem kreativen Tun selbst aus. Meine Kreativität ermöglicht mir, mich mit meiner eigenen Stimme auszuprobieren und mitzuteilen und gleichzeitig kann ich über den Weg des kreativen Tuns über mich selbst, aber auch über andere, über die Welt und das Leben nachdenken und reflektieren.
Ich weiß wirklich nicht, was aus mir werden würde, wenn ich all diese Ausdrucksmöglichkeiten nicht hätte, wahrscheinlich würde ich platzen …
Und so kann ich gar nicht anders als schreiben, fotografieren, malen und vieles andere mehr erschaffen. Kreativer (Selbst-)Ausdruck ist für mich fast so etwas wie Atmen, ich schöpfe Kraft und Energie daraus und kann Ballast abwerfen, um mich zu befreien. Interessanterweise habe ich mein kreatives Tun auch nie abhängig von den Rückmeldungen oder Ansichten anderer über die Ergebnisse gemacht, selbst Kritik oder Unverstehen hat mich nie abhalten können, mich kreativ auszudrücken.
Wofür bist Du dankbar?
Oh, für unendlich viel!
Ich bin dankbar für mein Leben, dafür, dass ich da sein und fühlen und erleben kann.
Ich bin dankbar dafür, dass ich bisher nie meine Hoffnung verloren habe, sie ist etwas sehr Kostbares.
Ich bin dankbar für das, was hinter mir liegt, was ich gerade erlebe und für das, was kommt.
Ich bin dankbar für meine Sinne, mit denen ich die Welt erfassen kann und ich bin dankbar für meine Begeisterungsfähigkeit, die mich überall Schönes und ganz viel zum Staunen entdecken lässt.
Ich bin dankbar für meine Gedanken, auch wenn sie manchmal mühsam sind und ich bin dankbar für meine Stimmungen, denn sie bringen Vielfalt in mein Leben.
Ich bin dankbar für all die Menschen, die an meiner Seite stehen und auch für die, die mich nur ein Stück meines Weges begleitet haben, selbst wenn sie mir nicht gut getan haben.
Ich bin dankbar für die Natur und all die vielen, vielen Wunder, die sie hervorbringt.
Ich könnte noch ewig so weiterschreiben, denn das Leben schenkt so viel.
Welche Gedanken kommen Dir bei den Worten von Jean Giono? Wir haben verlernt, die Augen auf etwas ruhen zu lassen; deshalb erkennen wir so wenig.
Das ist ein sehr schönes Zitat. Es spricht mir aus der Seele, denn es trifft für mich den Kern von dem, wie ich Achtsamkeit verstehe und das im praktischen wie auch im übertragenen Sinne: Um etwas erkennen zu können, müssen wir unsere Sinne nutzen und uns Zeit und Ruhe nehmen, um uns einlassen zu können.
In Zeiten von Kurznachrichten und Instant-Inspirationen und virtuellen Massenkontakten flattern viele von uns von einem Denkanstoß zum nächsten von einem tollen Foto zum nächsten, von einer Begegnung zur nächsten usw. Sehen allein lässt aber nicht auch wirklich etwas ankommen. Erkennen ist mehr als nur hinschauen, wir müssen es an uns heran und in uns hinein lassen.
Ich kann eine schöne Blume sehen, aber nur wenn ich sie mich berühren lasse, kann ich ihre Schönheit auch fühlen und damit das Wunder erkennen, was sie ist. Ich kann einen schlauen Satz hören, aber nur wenn ich in mich sinken lasse, wird er etwas in mir bewegen können. Ich kann einem Menschen treffen, aber nur wenn ich ihn in seinem Sein sein lassen kann, werde ich die Chance haben, ihn auch wirklich ein Stück weit kennen zu lernen.