Werbebotschaften versprechen ein angenehmes Leben, sobald wir die “richtigen” Produkte anschaffen. Doch irgendwann spüren wir, dass Lebensgefühl nicht gekauft werden kann und beginnen uns zu fragen: Was brauche ich wirklich? Was macht mich froh?
Pia Mester lebt und arbeitet als freie Journalistin im Sauerland. Auf ihrem Blog www.MalMini.de beschäftigt sie sich mit den Themen Minimalismus, Downsizing, Do It Yourself und moderne Lebenskunst. Zudem schreibt sie Kurzgeschichten.
Minimalismus hört sich für viele Menschen erst einmal nach Askese und Mangel an. Was sind aus Deiner Sicht die Vorteile eines minimalistischen Lebensstils?
Ja, dieses Vorurteil habe ich auch schon oft gehört. Aber warum Mangel? Mal ehrlich, wir haben doch alle mehr als genug, oder? Nicht nur Dinge, auch alles andere. Ich denke, genau das ist auch das Problem: Wir glauben, dass wir mehr haben, mehr tun und mehr sein müssen, um glücklich zu sein.
Es ist nie genug. Glück findet immer in der Zukunft statt. Indem man sich damit beschäftigt, was man wirklich braucht und was nur Überfluss ist, lernt man Zufriedenheit. Das Gefühl, genug zu haben, nimmt einem gerade die Angst vor Mangel. Seitdem ich nicht mehr so viel brauche, fühle ich mich viel reicher.
Inwieweit beansprucht Besitz unsere Aufmerksamkeit?
Wir müssen uns darum kümmern, unsere Gegenstände instand halten, ordnen, reinigen, reparieren und zwischendurch auch benutzen. Sonst stellt sich ein schlechtes Gewissen ein, weil man etwas gekauft hat, das dann nur ungenutzt in der Ecke herumliegt.
Wir sorgen uns um unseren Besitz. Wer viel hat, hat auch mehr Angst, es zu verlieren. Das ist sogar wissenschaftlich belegt.
Was oft unterschätzt wird ist nicht nur der physische Platz, den unser Besitz einnimmt, sondern auch der psychische. Wir denken an unsere Gegenstände, auch wenn wir sie gerade nicht vor Augen haben. Ich habe mal etwas gelesen, was es meiner Meinung nach gut trifft: Wir haben Beziehungen zu jedem unserer Gegenstände.
Ist Minimalismus ein Luxusproblem, welches vielleicht nur die westlichen Industrienationen haben
Ja, eindeutig. Die meisten Menschen in den reichen Industrienationen müssen sich keine Sorgen mehr über ein Dach über dem Kopf, genug zu Essen oder medizinische Versorgung machen. Wir sind übersättigt und merken, dass uns das belastet.
Ob Minimalismus ein Luxusproblem ist, habe ich kürzlich auch auf meinem Blog angesprochen. Meine Leser haben mir tolles Feedback gegeben: Wir brauchen uns nicht für solche Luxusprobleme schämen, weil man Probleme nicht herabsetzen sollte. Wenn sich jemand schlecht damit fühlt, zu viel zu besitzen, ständig abgelenkt und überfordert zu sein, ist das für denjenigen in diesem Moment schlimm. Und das sollte man ernst nehmen.
Warum fällt das Loslassen von Besitz und lieb gewordenen Gewohnheiten manchmal so schwer?
Veränderung fällt immer schwer, sofern die gegenwärtige Situation noch erträglich ist. Warum entrümpeln, solange man noch nicht in Kram erstickt und das Wohnzimmer noch ohne Probleme betreten kann?
Viele Menschen finden es hirnrissig, sich von Dingen zu trennen, die einen nicht stören. Schließlich hat man sie ja mal für teuer Geld gekauft und sicher kann man sie irgendwann noch mal gebrauchen. Ich glaube die Meinung der Gesellschaft, die alles andere als minimalistisch ist, hält viele Menschen zurück, etwas zu ändern.
Besitz steht für Sicherheit, für Erfolg, ist oft Ausdruck der Persönlichkeit. Besitz und Konsum sind in unserer Gesellschaft positive Dinge, deshalb halten wir auch daran fest.
Bei Gewohnheiten tritt unserer natürliche Trägheit besonders stark zutage. Eigentlich sind Gewohnheiten etwas Gutes: Sie ersetzen die vielen täglichen Entscheidungen und Überlegungen. Müssten wir über jeden unserer Schritte nachdenken, wären wir geistig ziemlich schnell erschöpft und hätten keine Hirnkapazität mehr für die wichtigen Dinge frei. Und genau deshalb lassen sich Gewohnheiten auch so schwer ändern: Es ist anstrengend, alles neu denken und entscheiden zu müssen. Das will unser Hirn nicht. Und es dauert so lange. Man sagt, dass es ungefähr 30 Tage braucht, bis sich eine neue Gewohnheit einigermaßen etabliert hat.
Wann bist Du mit dem Thema Minimalismus in Berührung gekommen und was hat sich dadurch für Dich geändert?
Zum ersten Mal bin ich über die amerikanischen Minimalismus-Blogger wie Leo Babauta, Courtney Carver und Tammy Strobel mit dem Thema in Berührung gekommen. Ich fand es faszinierend, dass es offenbar Menschen gibt, die sich gegen dieses allgegenwärtige „immer mehr“ stellen. Es war auch eine Erleichterung, zu erkennen, dass ich mit Weniger auskomme. Es gibt einem Freiheit.
Ich glaube ich bin dadurch lockerer und entspannter geworden. Ich versuche, die für mich wirklich wichtigen Dinge im Leben zu identifizieren und mich darauf zu konzentrieren. Davor hatte ich oft das Gefühl, mich in alle Richtungen strecken zu müssen und doch nie etwas zu erreichen.
Am Anfang ist es mir bei allen Gegenständen schwer gefallen, mich von ihnen zu trennen. Ich habe sogar kaputte Kugelschreiber aufbewahrt. Doch je öfter ich mich überwunden habe, desto leichter wurde es. Das Gefühl, wenn man ein paar Säcke aussortierter Sachen in den Müll wirft oder spendet, ist einfach überwältigend.
Wenn es mir wirklich schwer fällt, mich von einem Teil zu trennen, dann tue ich es nicht. Mich zu etwas zu zwingen wäre für mich wieder Mangel oder Askese. Oft ist es aber so, dass ich nach ein paar Wochen kein Problem mehr habe, dieses Teil wegzugeben.
Was sind aus Deiner Erfahrung sinnvolle erste Schritte, um das eigene Leben zu vereinfachen?
Nein sagen.
Sich fragen: Was will ich wirklich?
Loslassen üben
Singletasking und Konzentration
Manche Menschen haben Freude am Sammeln. Das können Bücher, Fotos, Schallplatten, Briefmarken sein. Ist die Leidenschaft Dinge aufzubewahren und Minimalismus für Dich ein Widerspruch?
Der Minimalismus, wie ich ihn sehe und lebe, hat keine Regeln. Es geht nicht darum, nichts mehr zu besitzen. Wer Freude am Sammeln hat, der soll das tun.
Die Frage ist, ob Sammler ihre Freude daraus ziehen, ein neues Teil für ihre Sammlung zu entdecken und zu ergattern, oder ob sie tatsächlich Freude daran habe, diese Dinge später noch zu betrachten oder zu benutzen. Ich selbst bin kein Sammler, kann das also nicht nachvollziehen.
Wenn eine Sammlung zur Last wird, weil man das Interesse daran verloren hat, sollte man sich aber auch wieder davon trennen können.
Was bedeutet das Schreiben für Dich?
Manchmal hilft mir Schreiben beim Denken. Ich weiß manchmal nicht, was ich denke, bevor ich lese, was ich geschrieben habe ;)
Ich habe lange nach meiner Leidenschaft im Leben gesucht und dabei viel ausprobiert, vor allem kreative Dinge. Zum Beispiel habe ich alle möglichen Handarbeiten gelernt, gezeichnet, Fotos gemacht und vieles mehr. Meistens habe ich ziemlich bald das Interesse daran verloren. Doch auf das Schreiben komme ich immer wieder zurück.
Das Interesse an neuen kreativen Techniken flammt immer mal wieder auf. Kürzlich habe ich mir zum Beispiel ein Linolschnitt-Set gekauft. Mal sehen, wann ich das wieder aufgebe ;)
Welche Gedanken kommen Dir bei den Worten von Meister Eckhart? „Die Frucht von Loslassen ist die Geburt von etwas Neuem.“
Erstmal: Ist Meister Eckhart der Kumpel vom Pumuckl? ;)
Nein, im Ernst. Etwas umständlich formuliert vom Meister Eckhart, aber wahr: Wer etwas Neues beginnen will, muss etwas Altes loslassen. Wir lernen aber oft das Gegenteil, nämlich so viel wie möglich anzuhäufen. Loslassen wird oft mit Versagen gleichgesetzt. Dabei ist es eine hohe Kunst, die Welt und das Leben ohne die eigenen Gefühle zu betrachten.
Wir wollen oft nicht wahrhaben, dass nichts im Leben für immer ist. Alles ist in ständigem Wandel. Sich mit diesem Gedanken anzufreunden ist schon die halbe Miete für ein glückliches Leben.
Wofür bist Du dankbar?
Dafür, dass mein Leben so ist, wie es ist. Für die Menschen darin. Für die Sicherheit, in der ich lebe. Dafür, dass ich gesund bin und für die Freiheit, mein Leben selbst zu bestimmen.